Ich kanns nicht hören und konnte es noch nie: „Älter werden ist doof, hier zwackt es, dort zwickt es, früher war alles besser“ oder „Damals, als ich jung war, war alles besser“ oder „Falten sind Kacke“.
Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen.
Älter werden ist geil
Älter werden ist geil. Nicht ein Jahr jünger möchte ich sein.
- Je älter ich werde, desto toller finde ich das, was ich bin, wie ich bin und das, was mich ausmacht
- Je älter ich werde, desto sicherer werde ich
- Je älter ich werde, desto bewusster gehe ich mit meiner Zeit um
- Je älter ich werde, desto bewusster suche ich die aus, mit denen ich mich umgebe, denen ich meine Zeit widmen will
- Je älter ich werde, desto gelassener gehe ich mit Zickereien und beruflichen Ellenbogeneskapaden von Kollegen und Vorgesetzten um
- Je älter ich werde, desto deutlicher werden meine Lebensträume und desto größer der Wille, sie umzusetzen und zu leben
Das Zwicken hie und da gehört zum Älterwerdenbusiness nun mal dazu. Basta.
Es gibt Wichtigeres, an das ich meine gedankliche Energie verschwende, als über die körperlichen und augenfälligen Beweise der Tatsache, dass alles mal ein Ende hat.
Gewählte Verluste
Das Einzige, womit ich in diesem Business nicht gut umgehen kann, sind Verluste. Verluste von Menschen, die mein Leben begleitet haben. Dabei ist völlig egal, ob sie das über lange Phasen oder kurze Phasen getan haben. Völlig egal, ob im privaten oder im beruflichen Kontext.
Die meisten solcher Verluste habe ich bewusst herbei geführt: Das Beenden von Freundschaften oder Beziehungen.
Es spielt keine Rolle, ob die Verluste, ob die Abschiede, selbst gewählt werden oder nicht: Sie hatten immer einen guten Grund, sie waren nie leicht, sie taten immer lange weh und es gab ja immer noch irgendwie ein Hintertürchen. Ich fühlte dieses Hintertürchen jedenfalls immer: Die gefühlte Möglichkeit, diesen von mir gewählten Abschied zurücknehmen zu können.
Unausweichliche Verluste
Und dann sind da noch die Verluste und Abschiede, die man so nötig braucht, wie Bauchweh. Die, die einem das Leben aufzwingt. Die, die man nicht verhindern kann und die Lücken in meinem System, im Mosaik meines Daseins hinterlassen.
Da sind einmal die fehlenden Mosaiksteinchen, die Kollegen hinterlassen, die gestorben sind. Viele sind in den letzten Jahren gegangen, die eine besondere Rolle in meinem beruflichen Leben gespielt haben: Durch besondere Begegnungen, durch Gespräche, die mir mir viel bedeutet haben. Kollegen, die ich zutiefst respektiert habe, die mich weitergebracht haben in meiner Entwicklung, in meinem Denken und Handeln: Sie sind nicht mehr da.
Und ich habe die Verluste, die in meinem nahen, persönlichen Umfeld, meiner Familie, im Kreis meiner Lieblingsmenschen, eingetreten sind.
Verluste, die passiert und die, die absehbar sind.
Sie sind nicht vermeidbar. Ich will sie nicht. Ich will so gern auf diese Verluste verzichten dürfen.
Keine Chance.
Das letzte Weihnachten
Jedes Jahr vor Weihnachten das Bewusstwerden, dass es das letzte Weihnachten sein kann, das ich mit meinen hochbetagten Eltern verbringen darf.
Die Deutlichkeit dieser Tatsache und die Ängste, die damit verbunden sind, werden von Jahr zu Jahr größer.
Die Deutlichkeit dieser Tatsache haut mir in dieser Jahreszeit jedes Mal einen emotionalen Knüppel schmerzhaft zwischen die Beine.
Die Deutlichkeit dieser Tatsache ist die einzige wirklich schmerzhafte Spur meines Älterwerdens.
Ich hab gelernt, stets meinen Verstand einzusetzen, habe gelernt, bei allem in meinem Leben Vernunft und Realitätssinn walten zu lassen, aber an der Stelle drückt mein Verstand gern mal den Power off-Button und bringt damit mein System nahezu zum Stillstand.
Ich hab Sicherungen eingebaut in dieses System und hoffe, sie funktionieren, wenn es irgendwann einmal ganz in die Knie zu gehen droht.
Ich freue mich auf Samstag, auf Heiligabend. Auf den Tag mit meinen Eltern, die mich lieben wie ich bin und denen ich so viel von dem verdanke, was und wie ich bin.